In der Welt des Jazz gibt es die Ikonen auf der Bühne: die Miles Davies, die Ella Fitzgeralds, die John Coltranes. Ihre Leistungen sind unsterblich, in Schallplatten gepresst und in Legenden gehüllt. Doch im Schatten dieser Riesen wirken die Hüter des Erbes, die Archäologen des Sounds, die stillen Passionäre, ohne die dieses Erbe verblassen würde. Einer dieser unermüdlichen Hüter ist Eric Plançon, ein Name, der unter Jazz-Enthusiasten und Sammlern mit einem besonderen Klang von Hingabe, Expertise und lebendiger Geschichte verbunden ist.
Wer also ist dieser Mann, dessen Name oft zwischen den Zeilen von Album-Liner Notes, in den Archiven von Radiosendern und in den Dankesworten von Musikern auftaucht?
Vom leidenschaftlichen Hörer zum kuratierten Sammler
Die Reise von Eric Plançon ist keine einer klassischen Musikerlaufbahn, sondern die eines Kuratoren aus Leidenschaft. Seine Wurzeln liegen im intensiven Zuhören und in der tiefen Liebe zum Jazz, insbesondere zu den rauen, emotionalen und technisch brillanten Sounds des Hard Bop und des Soul Jazz der 1950er und 1960er Jahre. Diese Ära, geprägt von Labels wie Blue Note, Prestige und Riverside, war eine Zeit unvergleichlicher Kreativität. Doch Plançon erkannte früh, dass die physischen Träger dieser Kunst – die Vinylpressungen – mehr waren als nur Tonträger. Sie waren historische Dokumente, jede Pressung mit eigenen Eigenheiten, Fehlern und Geschichten.
So wurde aus dem Hörer der Sammler, aber nicht im Sinne eines bloßen Ansammlers. Sein Ansatz war stets analytisch und kontextuell. Es ging nicht nur darum, die seltene Platte zu besitzen, sondern ihre Geschichte zu verstehen: Warum gibt es unterschiedliche Pressungen? Welche Studio-Sessions führten zu welchen Takes? Welche Musiker, oft im Hintergrund wirkend, prägten den charakteristischen Sound eines Labels? Diese Fragen trieben ihn an und formten seinen einzigartigen Wissensschatz.
Der Sound-Archäologe: Die Kunst des „Mastering“ und der „Tape Transfer“
Der Kern von Eric Plançons Arbeit, die ihn international bekannt gemacht hat, liegt im technisch-akustischen Bereich. Er ist ein anerkannter Experte für analoge Tonwiedergabe, Mastering und vor allem für die Kunst des „Tape Transfers“.
Was bedeutet das konkret? Die legendären Jazz-Aufnahmen liegen auf originalen Masterbändern in Archiven. Diese Bänder, oft Jahrzehnte alt, sind fragil. Sie zu digitalisieren (oder für Vinyl-Neuauflagen zu transferieren) ist eine heikle Aufgabe, die viel mehr erfordert als das bloße Abspielen. Es ist eine akustische Restaurierung. Hier kommt Plançons Expertise zum Tragen:
- Kenntnis der Ausrüstung: Er weiß, welche Bandmaschinen (z.B. spezielle Studer- oder Ampex-Modelle) mit welchen Einstellungen (Vorverzerrung, Geschwindigkeit) den originalen, vom Tonmeister intendierten Sound am authentischsten wiedergeben.
- Gehör für den originalen Sound: Durch jahrzehntelanges Studium von Originalpressungen besitzt er ein internes Referenzsystem für den „richtigen“ Klang eines Rudy Van Gelder- (Blue Note) oder eines Reeves Sound Studio- (Prestige) Recordings. Er kann hören, ob eine Gitarre zu schrill, ein Becken zu dumpf oder der Gesamtklang zu komprimiert ist.
- Respekt vor der Quelle: Sein Ziel ist nie, den Sound „modern“ oder „aufgeputzt“ klingen zu lassen. Sein Credo ist die treue Wiedergabe der originalen künstlerischen Absicht – mit all ihrer Wärme, Dynamik und manchmal auch ihren technischen Begrenzungen.
Diese Fähigkeiten machten ihn zu einem gefragten Partner für Spezial-Labels, die hochwertige Reissues produzieren. Labels wie Pure Pleasure Records, Sam Records oder Elemental Music vertrauen auf sein Ohr und sein Wissen, um ihre limitierten Audiophile-Vinyl- und SACD-Neuauflagen zu realisieren. Eine Platte mit dem Hinweis „Tape transfer by Eric Plançon“ ist für Sammler ein Gütesiegel für klangliche Authentizität und höchste Qualität.
Der Wissensvermittler: Von liner Notes zur mündlichen Überlieferung
Plançons Beitrag geht jedoch über die technische Arbeit hinaus. Er ist auch ein Geschichtenerzähler und Wissenshüter. Seine profundes Wissen teilt er in den liner Notes von Alben, in Interviews und in Gesprächen mit Produzenten und Sammlern. Er kann die Entstehungsgeschichte einer Session detailliert erzählen, Anekdoten über weniger bekannte Sidemen zum Besten geben und die klanglichen Unterschiede zwischen einer frühen Plastal-Pressung und einer späteren United-Auflage erklären.
Diese Rolle des „mündlichen Überlieferers“ ist in der Jazzwelt von unschätzbarem Wert. Sie verhindert, dass das kollektive Gedächtnis der Szene verloren geht, und verbindet die jüngere Generation von Jazzfans mit den Wurzeln der Musik.
Ein Leben für den Detailreichtum: Die Philosophie hinter der Leidenschaft
Betrachtet man Eric Plançons Wirken, so kristallisiert sich eine klare Philosophie heraus:
- Die Musik ist heilig, ihr physischer Träger auch. Der Respekt vor dem originalen Artefakt – sei es eine Schallplatte oder ein Masterband – ist fundamental.
- Kontext ist alles. Eine Aufnahme kann nur vollständig geschätzt werden, wenn man die Umstände ihrer Entstehung, die beteiligten Personen und die technischen Gegebenheiten versteht.
- Das Ohr ist das letzte Urteilsorgan. In einer Zeit algorithmischer „Lautstärkekriege“ und überkomprimierter Remasterings setzt er auf das geschulte menschliche Gehör als letzte Instanz für Klangqualität und Emotionalität.
- Leidenschaft ist ansteckend. Seine hingebungsvolle Arbeit inspiriert Produzenten, Musiker und Hörer gleichermaßen, genauer hinzuhören und tiefer in die Materie einzutauchen.
Das Vermächtnis: Mehr als nur ein Techniker
Eric Plançon ist somit eine einzigartige Figur im Jazz-Ökosystem. Er ist Sound-Archäologe, Kurator, Historiker und Handwerker in einer Person. Während die großen Musiker die Sprache des Jazz schrieben, hilft er wie ein sorgfältiger Restaurator, die originalen Manuskripte zu erhalten, sodass jede neue Generation sie so klar und unverfälscht wie möglich lesen und hören kann.
Seine Arbeit stellt sicher, dass der atemlose Trompetenlauf von Lee Morgan auf „The Sidewinder“ nicht nur zu hören ist, sondern genau so klingt, wie er im Studio erklang. Dass die samtige Traurigkeit eines Paul-Desmond-Saxophonsolos seine ganze zarte Nuance behält. Dass der Groove eines Art-Blakey-Schlagzeugs seine ursprüngliche, ungezügelte Kraft entfalten kann.
In einer zunehmend digitalen und oft oberflächlichen Welt steht Eric Plançon für eine Haltung der Vertiefung, der Geduld und des absoluten Respekts vor der künstlerischen Leistung. Er erinnert uns daran, dass Jazz nicht nur aus Noten und Improvisation besteht, sondern auch aus einem spezifischen, in der Zeit eingefangenen Sound. Und diesen Sound am Leben zu erhalten, ist eine Kunst für sich.
Sein Name mag nicht auf den Plattencoverts der Jazz-Giganten stehen, aber in den feinen Rillen der von ihm betreuten Neuauflagen und in den klaren, dynamischen Klängen, die aus den Lautsprechern strömen, ist seine Handschrift unüberhörbar. Eric Plançon ist, in jedem Sinne des Wortes, ein Hüter des wahren Klangs des Jazz.








